Eine bessere Welt gestalten – das Sozialforum 2007 in Cottbus
Die Sozialforumsidee bedeutet, Raum zu schaffen für die Diskussion um die Zukunft unserer Gesellschaft und das Zusammenleben der verschiedenen Nationen. Sie ist eine Bewegung von unten, jenseits der von Globalisierung, Neoliberalismus und von Krieg bestimmten Politik der Regierungen.
In Welt- und europäischen Sozialforen treffen sich die Menschen seit 2001 um länderübergreifende Strategien zu beraten. Im Jahr 2005 hat sich das 1. Sozialforum in Deutschland in Erfurt getroffen, Cottbus 2007 war nun der 2. Anlauf, die Soziaforumsidee auch in Deutschland zu etablieren. Je nach Zahl der zu erwartenden Gäste wurde in Workshops, Seminaren und Konferenzen über eine bessere Welt gestritten und diskutiert.
Dazu ein Interview mit Hugo Braun, einem Sprecher des Sozialforums in Deutschland:
# Herr Braun, es findet mittlerweile das 2. Sozialforum in Deutschland statt. Ist die Sozialforumsbewegung damit in Deutschland endgültig angekommen?
Die Sozialforumsidee ist in Deutschland seit 5 Jahren auf dem Weg und sie dringt immer weiter vor. Jetzt ist sie sogar in einer Grenzregion, hier in der Lausitz, angekommen.
# In Gesprächen mit TeilnehmerInnen wird die Intimität des Forums in Cottbus gelobt, die kleinen Gruppen und die dadurch möglichen intensiven Diskussionen. Gleichzeitig wird die inhaltliche Breite des Erfurter Forums vermisst. Was fehlt Ihnen auf diesem Sozialforum?
Mir fehlen die Kirchen auf diesem Sozialforum. In Erfurt waren viel mehr kirchliche Gruppen aktiv, das mag sicherlich auch an Erfurt als Kirchenstadt und Bischofssitz gelegen haben. Aber ich habe Cottbus deshalb auch als „lasziver“ empfunden. Aber im Gegensatz zu Erfurt ist hier der grenzüberschreitende Austausch, zum Beispiel mit Tschechien und Polen, viel intensiver. Das empfinde ich als Bereicherung.
# Jedes Sozialforum ist auch eine Vorbereitung des nächsten. Was nehmen Sie mit auf den Weg zum Jahr 2009, dem nächsten Sozialforum in Deutschland?
Ich fühle mich ermutigt, den Sozialforumsprozess in Deutschland weiter voran zu treiben. 2009 wird ganz sicher ein weiterer Höhepunkt der Bewegung in Deutschland. Das 3. Sozialforum wird nach den Wahlen in einigen Bundesländern, dem Bund und den Europawahlen stattfinden. Wir werden eine kritische Bilanz der dann vielleicht stattgefundenen politischen Verschiebungen ziehen und hoffen, dann eine Situation der besseren politischen Umsetzbarkeit unserer Forderungen vorzufinden.
# Die Versammlung der sozialen Bewegungen ist unabhängig vom Sozialforum. Dort werden Verabredungen für die zukünftigen Schwerpunkte in der außerparlamentarischen Arbeit getroffen. Hier in Cottbus wird erstmals kein fertiges Papier verabschiedet sondern nur Stichpunkte vereinbart. Welche sind für Sie die wichtigsten?
Ich halte den Aufruf für den „Global Day“ am 26. Januar 2008 für einen ganz wichtigen Baustein des weltweiten Sozialprotestes. Wir wollen weltweit für Frieden und soziale Gerechtigkeit eintreten. Außerdem ist das nächste europäische Sozialforum 2008 in Malmö in Schweden eine ganz wichtige Etappe für die Bewegung. Hier müssen wir den Prozess weiterentwickeln und für einzelne Themenfelder konkrete Umsetzungsstrategien entwickeln.
Das 2. Sozialforum in Deutschland war ein Forum der kurzen Wege, gebündelt an drei Orten. Das Programm war vielfältig, beispielhaft sollen in der Folge zwei Workshops beschrieben werden.
Im Themenbereich Nachhaltigkeit fand eine Veranstaltung unter dem Titel „Wir verfeuern Lebensmittel“ statt. Antonio Andrioli, ein brasilianischer Wissenschaftler, stellte das Zukunftskonzept der brasilianischen Regierung vor. Dieses sieht vor, die Agrarflächen des Landes großflächig zur Anpflanzung von Soja und Zuckerrohr zu nutzen, um anschließend daraus Biodiesel und Biosprit herzustellen.
Dieses Programm wird im wesentlichen den Großgrundbesitzern in Brasilien nutzen, denn diese können auf ihren riesigen Anbauflächen eine industrielle Produktionsweise betreiben, die einen maximalen Profit ermöglicht. Da durch entsprechende Programme auch kleinere und mittlere Bauern zum Anbau dieser Pflanzen gebracht werden sollen, werden Monokulturen in unbekanntem Ausmaß zur Folge entstehen. „Jede Minute wird dadurch in Brasilien die Fläche eines Fußballfeldes Regenwald vernichtet.“ Außerdem wies er nach, dass die C02 Bilanz dieser Produktionsweise negativ ist. „In Europa preist man die CO2 Einsparung durch Beimischung von Biodiesel, in Brasilien entsteht mehr als die gleiche Menge bei der Herstellung eben dieses Biodiesels. Das ist absurd wenn man bedenkt, dass Brasilien gleichzeitig Lebensmittel importiert, da die Landwirtschaft nicht in der Lage ist, den Bedarf zu decken.“
Wie kann die Gesellschaft der Zukunft aufgebaut sein? Ein wesentlicher Beitrag einer solchen Gesellschaft wird die Organisation des Gesundheitswesens sein. Peter Stosiek, Arzt in der DDR und im vereinten Deutschland zog eine kritische Bilanz der Systeme.
Zu Beginn stellte er klar, dass politische System der DDR immer abgelehnt zu haben. Er las aus einem Brief aus dem Jahr 1987 an Funktionsträger der SED in Görlitz vor, in denen er technische und bauliche Mängel des Kreiskrankenhauses in Görlitz, in dem er tätig war, anprangerte: „Die Temperatur, selbst im Kreißsaal, stieg im Winter nicht über 10 Grad. Die Patienten auf den Stationen liegen mit Hut und Mantel im Krankenbett...Ich bezweifele, dass die Entscheidungsträger in der Kommune und im Gesundheitssystem über die nötige Fachkompetenz verfügen.“ In der Nachwendezeit prangerte er mit das Verhalten seiner KollegInnen im Gesundheitswesen an: „Unsere Freiheit war die Einsicht in die Notwendigkeit. Uns fehlte der Mut, uns gegen die staatlich verordnete Mangelwirtschaft aufzulehnen.“
Einige Jahre später analysierte er das Gesundheitswesen der „freien Marktwirtschaft“ und des real existierenden Sozialismus. „In fast allen vergleichenden Zahlen lag die DDR ganz vorn, sei es bei der niedrigsten Säuglingssterblichkeit oder der Sterblichkeit nach Krebsbefund.“
Woran lag dies? Er nennt 4 Punkte:
1) Das Gesundheitswesen war staatlich organisiert und garantiert. Damit hatten alle BürgerInnen den Zugang zu kostenlosen und alles umfassenden Leistungen der Gesundheitsfürsorge. Defizite wurden durch den Staat (nicht durch Beitragszahler!!) ausgeglichen. Die Ausbildung von Medizinern wurde am Bedarf ausgerichtet. Nach der Ausbildung wurde den fertigen MedizinerInnen für mindesten ein Jahr ein Platz regional zugewiesen.
2) Stationäre und ambulante Pflege bildeten eine Einheit. Damit war sicher gestellt, dass die PatientInnen auch nach einem Eingriff übergangslos weiter betreut werden konnten. Heute ist es den Klinikärzten verboten, Kranke nach einer OP weiter zu behandeln. Das ist aus medizinischer Sicht absurd.
3) Ärzte waren Angestellte des Staates, heute sind Ärzte Unternehmer. Das bedeutet, das sie versuchen müssen, durch ihre PatientInnen sowohl ihre eigens als auch das Einkommen ihrer Angestellten zu sichern. Das muss zwangsläufig zu Mehrkosten führen, denn im Zweifel werden nicht immer nur die medizinisch notwendigen sondern die umsatzstärkeren Untersuchungen durchgeführt.
4) Polikliniken sicherten überall die notwendige medizinische Versorgung. Ihre Ansiedlung wurde staatlich organisiert und streng am Bedarf ausgerichtet. So erhielten Großbetriebe eigene Polikliniken. Polikliniken sicherten die Durchlässigkeit des medizinischen Systems. Fachärzte arbeiteten Tür an Tür, es gab für die in der Regel PatientInnen keine langen Wege oder besondere Termine.
An einem weiteren Beispiel verdeutlichte er die unterschiedliche Ausrichtung des Gesundheitssystems: Bei einem ärztlichen Fehleingriff („Kunstfehler“) ist heute der Patient in der Pflicht, diesen Fehler nachzuweisen. Allerdings muss der Patient diesen Fehler natürlich erst bemerken und zu Anzeige bringen. Ähnlich dem Verfahren bei Unfallflucht waren Ärzte in der DDR gezwungen, Fehleingriffe zu melden. Diese wurden von einer unabhängigen Stelle untersucht. Lag ein ärztliches Verschulden vor, wurde der Arzt zur Rechenschaft gezogen. Dieses Verschulden war jedoch nicht Voraussetzung für die Entschädigung des Patienten (erweiterte medizinische Haftung).
Am Schluss des Workshops wurde von allen Beteiligten gefordert, das Gesundheitssystem der DDR endlich unabhängig von der Staatsform zu diskutieren und seine Vorteile in das bestehende System soweit als möglich zu übernehmen.
Ein Höhepunkt des Sozialforums ist die Demonstration, mit der die Forderungen der sozialen Bewegungen auf die Straße gebracht werden. Deshalb zog am Samstagnachmittag eine bunte Karawane aus Trommlern, an Karneval erinnernde Pappmascheefiguren und großen roten Luftballons durch Cottbus. 800 Menschen beteiligten sich an dieser Demonstration, die ihren Höhepunkt an einer Stätte der Erinnerung der Judendeportation in der Cottbusser Innenstadt hatte. Ein österreichischer Aktivist erinnerte in bewegenden Worten an das Unheil, dass die Nazis über die Welt gebracht hatten und mahnte: „Die Rechtsextremen sind dabei, sich europaweit zu organisieren. 2009 wird es zur Europawahl erstmals eine gemeinsame Liste aller rechtsextremistischen Parteien von Rumänien über Deutschland bis nach Frankreich geben. Deren Einzug in das Parlament müssen wir alle gemeinsam verhindern!“
Im der abschließenden Versammlung der sozialen Bewegungen wurde ein erstes Fazit gezogen. Breite Zustimmung erhielt Peter Grottian, der die Sozialforumsidee gefährdet sah. „Es ist nicht gelungen, den Protest von Rostock und Heiligendamm mit nach Cottbus zu nehmen. Wir müssen die Entschlossenheit des Protestes gegen den G8-Gipfel auch in die Sozialforen einbinden.“ Besonders interessant die Bilanz der Organisatoren. „Die Gewerkschaften und die sozialen Gruppen in der Region sind enger zusammengerückt“ bilanzierte Marion Schreier, DGB-Regionsvorsitzende in Cottbus. Und Ralf Franke, der örtliche ver.di Sekretär bedankte sich bei den Sozialforumsbesuchern: „Wir freuen uns, dass ihr so zahlreich an den östlichen Rand der Republik gekommen seid. Das macht uns Mut. Wenn das Sozialforum hier her kommt, werden auch andere kommen